Aktuelle Informationen2018-02-26T13:29:37+00:00

 

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Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte

Das Finanz­ge­richt Müns­ter hat im Rah­men eines Ver­fah­rens betref­fend die Aus­set­zung der Voll­zie­hung ent­schie­den, dass ernst­li­che Zwei­fel an der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Ver­lust­ver­rech­nung nach § 20 Abs. 6 Satz 5 i. d. F. des Jah­res­steu­er­ge­set­zes 2020 (JStG 2020) bestehen.

Im Rah­men der Ein­kom­men­steu­er­fest­set­zung der zusam­men­ver­an­lag­ten Antrag­stel­ler für das Jahr 2022 setz­te das Finanz­amt die von den Antrag­stel­lern erklärten Gewin­ne aus Stillhalterprämien und Termingeschäften in vol­ler ¶he an und berück­sich­tig­te zugleich die gel­tend gemach­ten Ver­lus­te aus Termingeschäften nur bis zu einer ¶he von jeweils 20.000 Euro. Die ver­blei­ben­den, im Jahr 2022 nicht ver­re­chen­ba­ren Ver­lus­te wur­den geson­dert fest­ge­stellt. Gegen den Ein­kom­men­steu­er­be­scheid leg­ten die Antrag­stel­ler Ein­spruch ein. Das Ein­spruchs­ver­fah­ren wur­de im Hin­blick auf ein zum dama­li­gen Zeit­punkt beim Finanz­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg anhängiges Kla­ge­ver­fah­ren (dor­ti­ges Az. 10 K 1091/23) ruhend gestellt. Die zugleich von den Antrag­stel­lern bean­trag­te Aus­set­zung der Voll­zie­hung lehn­te das Finanz­amt mit Ver­weis auf die gel­ten­de Rechts­la­ge ab.

Der 6. Senat hat dem von den Antrag­stel­lern im Anschluss gestell­ten gericht­li­chen Aus­set­zungs­an­trag statt­ge­ge­ben, soweit er die Beschränkung des Ver­lust­aus­gleichs bei Termingeschäften auf 20.000 Euro betraf.

Zunächst könne dahin­ste­hen, ob für die Aus­set­zung der Voll­zie­hung bei ver­fas­sungs­recht­li­chen Zwei­feln an der Gül­tig­keit einer dem ange­foch­te­nen Ver­wal­tungs­akt zugrun­de lie­gen­den Rechts­norm ein beson­de­res Inter­es­se der Antrag­stel­ler an der Gewährung vorläufigen Rechts­schut­zes als Zulässigkeitsvoraussetzung erfor­der­lich sei. Denn die Interessenabwägung fal­le ein­deu­tig zuguns­ten der Antrag­stel­ler aus: Sowohl die Beden­ken an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte als auch die Kon­se­quen­zen der Voll­zie­hung des Ein­kom­men­steu­er­be­scheids für die Antrag­stel­ler – nämlich die Besteue­rung von Gewin­nen, die bei wirt­schaft­li­cher Betrach­tung tatsächlich gar nicht erzielt wor­den sei­en – sei­en erheb­lich. Dem­ge­genü­ber sei nicht ersicht­lich, dass die Gewährung der Aus­set­zung der Voll­zie­hung das öffentliche Inter­es­se an einer geord­ne­ten Haus­halts­füh­rung berüh­ren könnte.

Auch bes­tün­den ernst­li­che Zwei­fel an der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Ver­lust­ver­rech­nung gem. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 (im Anschluss an FG Rhein­land-Pfalz, Beschluss vom 5. Dezem­ber 2023, Az. 1 V 1674/23). Danach dürf­ten Ver­lus­te aus Termingeschäften nur in ¶he von 20.000 Euro mit Gewin­nen aus Termingeschäften und mit Ein­künf­ten aus Stillhalterprämien ver­rech­net wer­den; nicht ver­rech­ne­te Ver­lust dürf­ten je Fol­ge­jahr eben­falls nur bis zur ¶he von 20.000 Euro mit Gewin­nen aus Termingeschäften und Ein­künf­ten aus Stillhalterprämien ver­rech­net wer­den. Die Norm bewir­ke also, dass Ver­lus­te aus Termingeschäften zwar nicht gene­rell ver­sagt, jedoch nur bei (späteren) Gewin­nen aus Termingeschäften bzw. Stillhalterprämien und dann nur zeit­lich gestreckt abge­zo­gen wer­den dürf­ten. Inso­fern bes­tün­den erheb­li­che Beden­ken, ob die Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar sei.

Denn die Vor­schrift behan­de­le Steu­er­pflich­ti­ge bei der Bestim­mung ihrer steu­er­pflich­ti­gen Ein­künf­te danach unter­schied­lich, ob sie Ver­lus­te aus Termingeschäften oder aus ande­ren Kapi­tal­an­la­gen erzielt hätten, obwohl zwi­schen bei­den Grup­pen kein Unter­schied hin­sicht­lich der wirt­schaft­li­chen Leistungsfähigkeit ersicht­lich sei. Durch die Beschränkung des Ver­lust­ab­zugs und des damit ver­bun­de­nen Ver­lust­vor­trags könne es sogar – wie im Streit­fall – dazu kom­men, dass Steu­ern auf Gewin­ne anfie­len, obwohl bei wirt­schaft­li­cher Betrach­tung kein Gewinn aus der­sel­ben Kapi­tal­an­la­ge ent­stan­den sei.

Für die­se Ungleich­be­hand­lung feh­le es selbst bei einer Prü­fung anhand des Willkürmaßstabs an einem hin­rei­chen­den Recht­fer­ti­gungs­grund. Wenn in der Geset­zes­be­grün­dung dar­auf abge­stellt wer­de, dass die Rege­lung das Inves­ti­ti­ons­vo­lu­men und die ent­ste­hen­den Ver­lust­ri­si­ken aus spe­ku­la­ti­ven Termingeschäften begren­zen sol­le, über­zeu­ge dies in Bezug auf die Beschränkung der Ver­lust­ver­rech­nung auf 20.000 Euro nicht. Es sei bereits nicht schlüs­sig, wes­halb die Sofort­ver­steue­rung ein­zig für die Gewin­ne aus Termingeschäften ein­grei­fen sol­le. Vor dem Hin­ter­grund des objek­ti­ven Net­to­prin­zips sei es nicht fol­ge­rich­tig, dass der Steu­er­pflich­ti­ge Gewin­ne aus Kapi­tal­an­la­gen vollumfänglich im Zufluss­zeit­punkt ver­steu­ern sol­le, die Aner­ken­nung der Ver­lus­te aber betragsmäßig begrenzt wer­de. Auch könne die allei­ni­ge Abzieh­bar­keit in den Fol­ge­jah­ren dazu füh­ren, dass die Ver­lust­ver­rech­nung – bspw. bei Wohn­sitz­ver­la­ge­rung, Tod des Steu­er­pflich­ti­gen oder dem Aus­blei­ben von Gewin­nen aus Termingeschäften oder Stillhalterprämien – end­gül­tig ausbleibe.

Der 6. Senat hat die Beschwer­de zum Bun­des­fi­nanz­hof zuge­las­sen. Mit am 27. Juni 2024 veröffentlichtem Beschluss vom 7. Juni 2024 (Az. VIII B 113/23 (AdV)) hat der Bun­des­fi­nanz­hof bereits in einem ähnlich gela­ger­ten Fall ent­schie­den, dass bei der im Aus­set­zungs­ver­fah­ren gebo­te­nen sum­ma­ri­schen Prü­fung § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG ver­ein­bar sei.

FG Müns­ter, Mit­tei­lung vom 16.07.2024 zum Beschluss 6 V 252/24 E vom 13.06.2024

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